Roman schreiben. Schreibtipp zu Erzählperspektive und Head Hopping.

Wie du Head Hopping vermeidest und die LeserInnen nicht aus der Geschichte reißt.

Mir begegnen immer wieder Geschichten, in denen die gewählte Erzählperspektive nicht eingehalten wird, wodurch es bei den LeserInnen zum Head Hopping kommt. Im besten Fall sind die Lesenden verwirrt, im schlimmsten Fall brechen sie das Buch oder die Kurzgeschichte ab.

Was ist Head Hopping?

Head Hopping bedeutet, dass die Erzählperspektive (POV, Point of View) innerhalb einer Szene mehrmals wechselt, d.h. die Geschichte/Szene wird aus der Perspektive einer Person erzählt und plötzlich springt der Autor bzw. der Erzähler unkontrolliert in den Kopf/die Innenansicht einer anderen Figur. Dadurch gerät der Leser ins Stolpern und wird aus der Erzählung herausgerissen.

Die Versuchung, den Erzähler vom Innenleben einer Figur ist das Innenleben einer anderen Figur springen zu lassen, ist für AutorInnen sehr groß, weil sie ihre Figuren in- und auswendig kennen. Geschieht das Head Hopping innerhalb einer Geschichte wenige Male, weil es von AutorenInnen und LektorenInnen übersehen wurde, ist es sicherlich kein Beinbruch, und die Lesenden werden darüber hinweglesen. Schreitet das Head Hopping jedoch chronisch voran, kann es für die Leserschaft sehr verwirrend sein, zum Abbruch des Buches oder zu schlechten Rezensionen führen.

Wie vermeide ich Head Hopping?

Um Head Hopping zu vermeiden, ist es wichtig, die unterschiedlichen Erzählperspektiven zu verstehen.

Was ist die Erzählperspektive?

Unter der Erzählperspektive versteht man eine bestimmte Perspektive, die der Erzähler einer Geschichte einnimmt. Jede Geschichte wird nicht von dem Autor erzählt, sondern von einem Erzähler, den der Autor wählt. Der Erzähler ist somit die wichtigste Figur im Roman, auch wenn sie nicht immer Teil der Erzählung ist, und fungiert als Filter, d. h. von dem gewählten Erzähler hängt ab, was die Lesenden erzählt bekommt und was nicht. Der Erzähler kann die Leserschaft also leiten und lenken.

Der Erzähler der Geschichte

Ich stelle mir den Erzähler immer als einen Minimenschen vor, den ich auf die Schulter eines Protagonisten setze, so dass der Erzähler alles aus der Sicht dieser Figur erzählt.

Der Erzähler hat Zugriff auf die

  • Emotionen
  • Gedanken und
  • Sinneserfahrungen (Sehen, Hören, Schmecken, Fühlen, Tasten, Riechen)

der Figur, auf deren Schulter er sitzt.

Alle anderen Figuren sieht der Erzähler ebenso wie der Protagonist nur von außen, d. h. er kann nur deren

  • beobachtbares Verhalten (z. B. Bewegungen, Gesten) und
  • hörbares Verhalten (z. B. direkte Äußerungen, Ticks wie Stottern)

beschreiben.

Bei der Wahl des Erzählers stehen vier Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Ich-Erzähler
  • Personaler Erzähler
  • Auktorialer Erzähler
  • Neutraler Erzähler

Ich-Erzähler

In der Ich-Erzählsituation ist der Ich-Erzähler mit einer Figur der Erzählung meist identisch, er tritt also mit in die Handlung ein. In diesem Fall spricht man von der Identität der Seinsbereiche von Erzähler und Hauptfigur.

Bei der Wahl eines Ich-Erzählers ist die Erzählperspektive relativ einfach einzuhalten.

Ein Head Hopping käme hier zustande, wenn der Ich-Erzähler die Perspektive des Hauptprotagonisten verlässt und in den Kopf eines anderen Protagonisten springt,
zum Beispiel:

Ich sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht. Schön geht anders, dachte er.
Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. „Findest du nicht auch?“
Er schwieg. Hinter seiner Stirn hämmerte ein Specht.

Der Ich-Erzähler hat nur eine Sicht von außen auf Mark. Er kann nicht wissen, was in Marks Kopf vorgeht. Damit der Ich-Erzähler, dem Leser Marks Gedanken und Gefühle mitteilen kann, muss Mark diese äußern oder durch Gesten/Mimik zeigen, z. B.

Ich sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht.
Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. „Findest du nicht auch?“
Er schwieg, legte Zeige- und Mittelfinger auf die Schläfen und kreiste die Finger in gleichmäßigen Bewegungen.

Aus Marks Verhalten kann der Ich-Erzähler vermuten, was Mark quält und nun zum Beispiel fragen:

„Hast du wieder Kopfschmerzen?“

Personaler Erzähler

Ebenso wie bei der Ich-Perspektive nehme ich meinen Minimenschen, also den Erzähler, und setzte ihn auf die Schulter einer Romanfigur. Der personale Erzähler nimmt den Blickwinkel dieser Figur ein, ist also Teil der Handlung. Im Gegensatz zur Ich-Perspektive werden Personalpronomen, also er oder sie, genutzt, um die Geschichte zu erzählen.

Der personale Erzähler hat Zugriff auf die

  • Emotionen
  • Gedanken und
  • Sinneserfahrungen (Sehen, Hören, Schmecken, Fühlen, Tasten, Riechen)

der Figur, auf deren Schulter er sitzt.

Alle anderen Figuren sieht der Erzähler ebenso wie der Protagonist nur von außen, d. h. er kann nur deren

  • beobachtbares Verhalten (z. B. Bewegungen, Gesten) und
  • hörbares Verhalten (z. B. direkte Äußerungen, Ticks wie Stottern)

beschreiben.

Wie kommt es in dieser Perspektive nun zum Head Hopping?

Hierzu nehme ich wieder das Beispiel von Marie und Mark und setze den Erzähler auf Maries Schulter.

Marie sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht. Schön geht anders, dachte er.
Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Findest du nicht auch?“
Er schwieg. Hinter seiner Stirn hämmerte ein Specht.

Auch der personale Erzähler hat nur eine Sicht von außen auf Mark. Er kann nicht wissen, was in Marks Kopf vorgeht. Damit der personale Erzähler, dem Lesenden Marks Gedanken und Gefühle mitteilen kann, muss Mark diese äußern oder durch Gesten/Mimik zeigen, z. B.

Marie sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht.
Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Findest du nicht auch?“
Er schwieg, legte Zeige- und Mittelfinger auf die Schläfen und kreiste die Finger in gleichmäßigen Bewegungen.
„Hast du wieder Kopfschmerzen?“

Setzen wir den personalen Erzähler nun auf Marks Schulter. Dann sähe Head Hopping folgendermaßen aus:

Marie sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht. Schön geht anders, dachte er.
Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Findest du nicht auch?“
Er schwieg. Hinter seiner Stirn hämmerte ein Specht.

Ohne Head Hopping:

Marie sagte: „Heute ist ein schöner Tag.“
Mark antwortete nicht. Schön geht anders, dachte er.
„Findest du nicht auch?“
Er schwieg. Hinter seiner Stirn hämmerte ein Specht.

Für den Roman DRACHENKÖNIGIN (Urban Fantasy, Lindwurm Verlag) habe ich einen personalen Erzähler gewählt und ihn auf die Schulter meiner Hauptprotagonistin Jade gesetzt. Der personale Erzähler ist Teil der Geschichte und erlebt alles genauso wie Jade. Er hat Zugriff auf Jades Emotionen, Gedanken und Sinneserfahrungen. Dadurch wird den Lesenden die Möglichkeit gegeben, in das „Innere“ von Jade zu blicken und Nähe zu ihr aufzubauen. Da der Erzähler nur weiß, was Jade weiß, kann er nicht verraten, was als Nächstes passiert. Die Lesenden sind direkt dabei, wenn sich die Handlung entfaltet. Das macht die Geschichte spannend.

Drachenkoenigin

Eine besondere Form der personalen Perspektive ist die multipersonale Perspektive.

Multipersonale Perspektive

Bei der multipersonalen Perspektive nehme ich den personalen Erzähler und setze ihn mal auf die Schulter der einen, mal auf die Schulter einer anderen Figur. Der Erzähler wechselt also zwischen unterschiedlichen Romanfiguren hin und her, wodurch er Zugriff auf das Innenleben verschiedener Charaktere hat, aber ACHTUNG: nicht innerhalb einer Szene, da es sonst zum Head Hopping kommt (s. Beispiel personale Perspektive).

Diese Technik nutze ich bei meinen Psychothrillern. Hier sind die Kapitel aus unterschiedlichen personalen Perspektiven erzählt, zum Beispiel mal aus der Perspektive der Kommissarin Ruby Hiller, mal aus der Perspektive des Kommissars Simon Peick. Das bietet den Vorteil, dass die Lesenden das Innenleben beider Figuren kennenlernen und dadurch Nähe zu diesen Figuren aufbauen können.

Zudem brauche ich weitere personale Erzähler, die die Gewaltszenen erzählen, bei denen die Kommissare natürlich nicht anwesend sind. Hier gilt es zu entscheiden, auf wessen Schulter ich den Erzähler setze. Auf die Schulter des Täters oder auf die Schulter des Opfers?

Diese Überlegung zeigt, wie der gewählte Erzähler den Lesenden lenken kann. Am klarsten wird es durch Beispiele:

Bei dem Psychothriller APHRODITE habe ich den Erzähler auf die Schulter der Opfer gesetzt, und zwar aus folgendem Grund: So ist es möglich, dem Lesenden möglichst lange zu verheimlichen, ob der Angreifer (verhüllte Gestalt) männlich, weiblich oder divers ist. Würde der personale Erzähler den Blickwinkel des Täters einnehmen, müsste ich zur Beschreibung seiner Taten und Gedanken ein Personalpronomen (er oder sie) verwenden. Somit wäre das Geschlecht des Täters sofort klar.

Aphrodite

Hingegen habe ich bei dem Psychothriller ARTEMIS, erschienen in der edition krimi, einen personalen Erzähler gewählt, der die Position des Täters einnimmt, um Sympathie und Nähe zu diesem aufzubauen.

Artemis

Durch eine Vielzahl von POV-Charakteren ist die Versuchung groß, von einem Kopf in den nächsten zu hopsen.

Was tun?

Um Head-hopping zu vermeiden,

  • lege ich beim Plotten die POV-Charaktere fest,
  • füge bei einem Wechsel des POV-Charakters ein neues Kapitel/einen Absatz ein (s. Schreibtipps-to-go „Zeilenumbruch versus Absatz“), um den Leser auf einen Wechsel vorzubereiten.
  • schreibe über jedes Kapitel den Namen des POV-Charakters, aus dessen Sicht die Szene erzählt wird und lösche dies erst nach der finalen Überarbeitung,

Auktorialer Erzähler (auch allwissender Erzähler)

Der auktoriale Erzähler ist nicht Teil der Geschichte, sondern betrachtet das Geschehen aus der Ferne. Er weiß alles über die Welt der Geschichte, kann den Lesenden alle Informationen, die er möchte, zur Verfügung stellen. Er kann Dinge sehen, denen kein Mensch beiwohnt, Zeitsprünge machen, Schauplätze wechseln und seine eigene Meinung als Kommentar einfließen lassen. Er kann sogar in die Köpfe der Figuren springen und ihren Gedanken lauschen. Allerdings sollten sich Autoren auf die Handlung konzentrieren und unbedingt vermeiden, zu sehr zwischen den Gedanken und Eindrücken der Charaktere hin- und herzuspringen, um Head Hopping zu vermeiden.

Der auktoriale Erzähler ist eine alte Erzählform und gilt heute oft als verstaubt und wenig emotional durch die große Distanz zwischen Erzähler und handelnden Figuren. Viele Märchen, z. B. die der Gebrüder Grimm und Klassiker sind aus der auktorialen Perspektive erzählt.

Neutraler Erzähler

Der Vollständigkeit halber sei dieser Erzähler erwähnt, der mir in aktuellen Romanen überhaupt nicht mehr begegnet.

Der neutrale Erzähler ist kein Teil der fiktiven Welt und beschreibt nur, was von außen wahrnehmbar ist, kennt also nicht die Gedanken und Gefühle der Figuren. Erzählt wird mit den Personalpronomen (er/sie).

Mischformen

Es ist gängig, dass die Erzählperspektive in einem Roman wechselt bzw. Mischformen verwendet werden.

So habe ich für den Psychothriller ASKLEPIOS (edition krimi), den (multi)personalen Erzähler mit einem auktorialen Erzähler kombiniert.

Vor dem eigentlichen Schreibprozess sollten sich AutorInnen unbedingt die Frage stellen: Welche Erzählperspektive passt am besten zu meiner Geschichte? Welche Perspektive wähle ich?

Eine schwierige Entscheidung. Ein Richtig oder Falsch gibt es quasi nicht. Folgende Faktoren können bei der Wahl helfen:

  • In welchem Genre schreibe ich bzw. an welche Erzählperspektive ist meine Zielgruppe gewohnt?
  • Gibt es verschiedene Erzählstränge, so dass ich gezwungen bin, die Erzählperspektive zwischendurch zu wechseln?
  • Welche Gefühle möchte ich beim Lesenden auslösen? Welche Informationen möchte ich den Leseenden preisgeben? In welche Figuren-Gedanken möchte ich die Leserschaft eintauchen lassen? Welche Erzählperspektive oder ggf. welche Kombination verschiedener Erzählperspektiven ist dabei hilfreich?
  • In welcher Perspektive/mit welchem Erzähler fühle ich mich am wohlsten?

Tipp: Falls dir die Entscheidung schwerfällt, schreibe die ersten Kapitel deines Romans aus verschiedenen Perspektiven, z. B. einmal mit einem Ich-Erzähler und einmal mit einem personalen Erzähler, und schaue, welche Erzähler deine Geschichte besser erzählt.

Happy writing,
Charlotte

Asklepios