Vampir-Verben

Kennst du Vampir-Verben? Die überflüssigen Blutsauger, die selbst keine Kraft haben, sondern sich von der Kraft anderer Verben ernähren?

Klar, dass sie sich beim ersten Romanentwurf im Eifer des Gefechts bzw. während des Schreibflows einschleichen. Bei der Manuskriptüberarbeitung sollten sie aber mit Kreuz, Knoblauch und Weihwasser oder mit der Delete-Taste vertrieben werden. Das macht Texte bzw. Sätze ohne viel Arbeit prägnanter. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel: Es gibt Textstellen, wo Vampir-Verben nützlich sind.

Und welche Verben (Tätigkeitsworte) sind das nun?

1. Anfangen

 „Er fing an, zu rennen.“ Rennen ist ein inhaltlich starkes Verb, das Bilder wecken kann. Hingegen ist anfangen ein schwaches Tätigkeitswort. Irgendwann fängt alles an.

Besser: „Er rannte los.“

Auf diese Weise erhält das Verb „rennen“ mehr Gewicht.

2. Beginnen

Beginnen ist der kleine Bruder von anfangen.

„Er begann, zu laufen.“
Besser: „Er lief los.“

„Sie begann, zu lesen.“
Besser: „Sie schlug das Buch auf und las.“

3. Spüren

Dieses Tätigkeitswort ist nicht nur ein Vampir-Verb, sondern auch ein Filterwort.

(Einen Blogartikel zum Thema „Filterwörter/Filtering“ findest du im Blog auf meiner Website www.charlottecharonne.com unter Schreibtipps-to go.)

„Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte.“

Das Verb „spüren“ steht im Hauptsatz, ist also das Wichtigste, und raubt dem wirklich wichtigen Tätigkeitswort „verkrampfen“ die Kraft.

Besser: „Sein Magen verkrampfte sich.“

4. Bekommen

„Sie bekam eine Gänsehaut, die ihr den Rücken hinablief.“

Intensiver wird das Bild ohne das Verb „bekommen“, also
besser: „Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab.“

Bekommen ist kein typisches Vampir-Verb, denn oft bekommen Texte die gewünschte Aussage auch mit diesem Verb hin, ohne ein dazugehöriges Verb, dem es die Kraft raubt. Weil bekommen selbst aber wenig Kraft hat, ist es sinnvoll, bei der Überarbeitung zu überlegen, ob es nicht stattdessen ein aussagestärkeres, spezifischeres Verb gibt.

5. Versuchen

„Sie rannte durch den Wald und versuchte, sich auf die Vampire zu konzentrieren, die sich hinter den Bäumen versteckten.“

Besser: „Sie rannte durch den Wald und konzentrierte sich auf die Vampire, die sich hinter den Bäumen versteckten.“

Bei diesem Verb handelt es sich nicht um ein typisches Vampir-Verb. „Versuchen“ hat seine Daseinsberechtigung, wenn im Hauptsatz ein Versuch betont und gleich darauf im Nebensatz das Scheitern dargestellt wird.

6. Scheinen

Dieses Verb macht durchaus Sinn, wenn z. B. eine Situation aus der Ich-Perspektive beschrieben wird. „Ich gab ihr eine Antwort, aber sie schien damit nicht zufrieden zu sein.“ Die Ich-Erzählerin kann ja nicht wissen, was ihr Gegenüber wirklich denkt. Aufgrund Mimik und Gestik des anderen Protagonisten kann sie nur Vermutungen anstellen.

Manche Konstruktionen können aber beim Leser den Eindruck erwecken, dass der Autor selbst nicht weiß, was los ist, oder sich nicht festlegen will.

„Der Himmel schien sich zu verdunkeln.“

Verdunkelt der Himmel sich nun oder nicht?

Besser: „Der Himmel verdunkelte sich.“

So ist die Szene klar, das Vampir-Verb saugt ihr nicht das Blut aus.

7. BEFINDEN

„Er befand sich in einem Wald voller Vampire.“

In diesem Satz wird dem Verb zwar nicht das Blut ausgesagt, besonders lebendig klingt er aber nicht, da „befinden“ ein statisches Verb ist.

Besser:

„Er rannte durch den Wald. Zweige knackten, ein erdiger Geruch kletterte in seine Nase. Wo versteckten sich die Vampire?“

Happy writing,
deine Charlotte